Wegweisend

Karen Michels zeigt in ihrer Biographie Neues Sehen. Wie Martin Warnke die Freiheit der Kunst entdeckte den Kunsthistoriker als Meister seines Faches

Martin Warnke lehrte von 1978 bis 2003 Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. 1937 in Brasilien als Sohn eines protestantischen Pastors geboren, der eine Gemeinde im Urwald betreute, war er ein wegweisender Vertreter seines Faches. Der "Revolutionär der Kunstgeschichte" hat sie auf leise Art, dafür aber umso wirksamer verändert. Karen Michels, selbst Kunsthistorikerin und über Jahre enge Mitarbeiterin Warnkes, legt nun die Biografie Neues Sehen. Wie Martin Warnke die Freiheit der Kunst entdeckte in der Reihe "Wissenschaftler in Hamburg" vor – herausgegeben von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung. 

Michels gelingt eine fesselnde und anschaulich geschriebene Biographie dieses besonderen Wissenschaftlers: "Mein Versuch einer Annäherung fragt vor allem nach den Zusammenhängen und Kontinuitäten in einem Lebensweg, der in Brasilien begann und 2019 in Halle an der Saale endete. Im Mittelpunkt aber steht Martin Warnkes Hamburger Zeit. Warnke hat dem Fach Kunstgeschichte ein neues Gesicht verliehen."

Warnke setzte nach Anfängen in Marburg an der Universität Hamburg die von Erwin Panofsky und Aby Warburg in Hamburg begründete Ikonologie und Betrachtungsweise der Kontextualisierung künstlerischen Schaffens konsequent fort. Karen Michels verdeutlicht zwei Motive, die Warnkes intellektuelles Leben ausmachten: das Interesse an der Politischen Ikonographie, an der visuellen Inszenierung politischer Ideen und Inhalte einerseits sowie am Begriff der Freiheit andererseits. Mit der hohen Geldsumme des ihm 1990 zuerkannten Leibniz-Preises gründete Warnke in Hamburg die "Forschungsstelle zur Politischen Ikonographie" – daraus erwuchs die Öffnung der Kunstgeschichte zur Medienwissenschaft, die er mit vorantrieb.

Zweifeln als Methode – Warnkes Originalität lag im genauen Hinsehen. Der "Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers", so der Titel seiner bahnbrechenden Studie, veränderte die Sichtweise auf Hofkünstler wie Rubens oder Velázquez. Sie wären keineswegs devot gegenüber ihren jeweiligen Regenten gewesen, sondern hätten ihre privilegierte Position autonom ausgestaltet – durch verborgene Strategien, wie sie künstlerische Meisterschaft und Raffinesse eröffnen.

Dr. Ekkehard Nümann, Präsident der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, unterstreicht: "Es ist vor allem Martin Warnke zu verdanken, dass das Gebäude der 1933 in die Emigration nach London gezwungenen 'Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg' in der Heilwigstraße 116 für das wissenschaftliche Leben Hamburgs zurückgewonnen werden konnte. Karen Michels als Kennerin seines Werkes verdeutlicht, dass Warnke die akademische Kunstgeschichte aufgebrochen und immer wieder auch ihre gesellschaftliche Relevanz demonstriert hat."

Die Publikation erscheint im Wallstein Verlag und kann direkt dort oder im Buchhandel (ISBN 978-3-8353-5540-8) bestellt werden.