"Von überall zum Neuen Wall"
Sylvia Steckmest erkundet am Beispiel der Familie Robinsohn die Mode- und Textiltradition Hamburgs
Das Buch Zwischen Emanzipation und Emigration. Das Modehaus Gebr. Robinsohn am Neuen Wall von Sylvia Steckmest ist eine Firmen- und Familienbiographie. Sie handelt vom Erfolg und von der Verfolgung einer jüdischen Familie, die Maßstäbe in Hamburgs Modewelt setzte.
Es begann 1889: Die Brüder Leo (1867-1958) und Jacob Robinsohn (1860-1897) gründeten die Firma "Gebr. Robinsohn" auf der Zeil in Frankfurt/Main. Wenig später, 1892, eröffnete Leo Robinsohn in Hamburg ein Geschäft für Putz- und Modewaren. Sein Bruder Max kam bald als Partner hinzu.
Die Robinsohns stammten aus dem polnischen Dorf Borek, im einstigen Oberschlesien. Das Modehaus an der Bleichenbrücke 10 in der Hamburger Innenstadt wurde dank der Textilexpertise und des Verkaufsgeschicks der Robinsohns rasch erfolgreich. So versahen die "Gebr. Robinsohn" jede ausgelegte Ware mit einem Preisschild, was damals noch unüblich war. Die Hamburger Niederlassung prosperierte und 1901 erfolgte der Umzug an den Neuen Wall 31-33. "Von überall zum Neuen Wall" titelte das "Hamburger Fremdenblatt" 1932 und beschrieb damit die Attraktivität des imposanten Firmensitzes. "Gebr. Robinsohn" mit fast 700 Angestellten offerierten außergewöhnliche und üppig arrangierte Modeerzeugnisse auf eleganten, großzügig bemessenen Verkaufsflächen und verfügten zudem über Räume für die Produktion und den Export von Modewaren, darunter eine Schneiderei zur Maßanfertigung sowie eine Putzmacherei zur Ausstaffierung von Hüten.
Autorin und Modeexpertin Sylvia Steckmest erinnert daran: "Zu Robinsohns Zeiten war die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie noch der wichtigste Industriezweig in Deutschland. Die Familie Robinsohn baute nicht nur das größte und wohl auch schönste Modehaus in Hamburg auf, sondern war zudem richtungweisend mit ihren Mode-Zeitschriften, ihren beachtlichen Sozialleistungen und ihrem politischen Engagement.
"Gebr. Robinsohn“ bekamen die antisemitische Politik der Nationalsozialisten mit voller Wucht zu spüren. Der Boykott sogenannter "jüdischer Geschäfte" am 1. April 1933 wirkte. Im November 1938, in der sogenannten "Reichskristallnacht", wurden die Geschäftsräume total verwüstet. Kurz darauf kam es zur "erpresserischen Arisierung", wie Steckmest detailliert schildert – dem Zwangsverkauf der Firma inklusive Warenlager. 1939 musste dann auch das Grundstück am Neuen Wall weit unter Wert veräußert werden. Steckmests Familienbiographie zeichnet die wirtschaftlichen Drangsalierungen ebenso nach wie die Exilstationen der einzelnen Familienmitglieder. Hans Robinsohn (1897-1981), Sohn des zweiten Firmeninhabers Max Robinsohn, hatte einer liberalen Widerstandsgruppe angehört. Er kehrte 1958 aus Kopenhagen nach Hamburg zurück und musste in den diversen Entschädigungsverfahren dieser Zeit viele Enttäuschungen hinnehmen. Zeitlebens beschäftigten ihn die Gründe für das Erstarken des Nationalsozialismus.
Ekkehard Nümann, Präsident der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, betont das mäzenatische Wirken der Familie Robinsohn: "Neben der kaufmännischen Tätigkeit war den Robinsohn-Brüdern auch die Förderung der Wissenschaft wichtig und so spendeten sie 1920 der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung 25.000 Mark. Wir sollten bedenken, was Hans Robinsohn 1954 schrieb: 'Die Vergangenheit kann nicht ausgestrichen werden. Man soll auch nicht versuchen, sie absichtlich zu vergessen.' Im Gegenteil: Diese wichtige Biographie erinnert an das vielfältige Hamburger Wirken der geschäftlich und mäzenatisch so erfolgreichen Familie Robinsohn."
Die Publikation erscheint im Wallstein Verlag und kann direkt dort oder im Buchhandel (ISBN 978-3-8353-5548-4) bestellt werden.