Drei Fragen an Karen Michels

Karen Michels, Autorin unseres Bandes Neues Sehen. Wie Martin Warnke die Freiheit der Kunst entdeckte, im Gespräch mit Ekkehard Nümann, dem Präsidenten der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung.

Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Sie schreiben, Martin Warnke habe dem Fach Kunstgeschichte ein neues Gesicht verliehen, er habe die Kunstbetrachtung und damit auch die Kunstgeschichte – nicht nur in Hamburg – verändert. Worin besteht seine herausragende Leistung?

Karen Michels: Martin Warnke hat gezeigt, wie wichtig es ist, hinter die Oberfläche der Bilder zu schauen. Er hat nach den sozialen und politischen Bedingungen gefragt, unter denen sie entstanden sind – und dabei entdeckt, dass Kunstwerke mit subversiver Energie ausgestattet und eigenständige Gegenkräfte zu gesellschaftlichen Anforderungen sind. 

Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Dank Martin Warnke konnte das Gebäude der 1933 in die Emigration gezwungenen "Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg" in der Heilwigstraße Nr. 116 für das wissenschaftliche Leben Hamburgs zurückgewonnen werden. Warum hat Warnke dieses enorme Engagement aufgebracht? Sie waren daran ja damals beteiligt.

Karen Michels: Warnke war fasziniert von Warburgs fachübergreifendem kulturwissenschaftlichen Ansatz, der sich auch den Bildwelten jenseits der "Hochkunst" widmete. Gleichzeitig hat er es als seine Verpflichtung verstanden, den aus Nazideutschland verfolgten und vertriebenen Kunsthistorikern wieder eine Stimme zu verleihen. Viele von ihnen, so etwa Erwin Panofsky, kamen aus der "Hamburger Schule", deren Mittelpunkt die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg war. 

Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Neben seinen großen Künstler-Monografien zu Rubens und Velázquez und seiner bahnbrechenden Studie zu den Hofkünstlern war die Politische Ikonographie für Martin Warnke zentral – warum ist gerade sie so wichtig und aktuell?

Karen Michels: Wir kommunizieren heute mehr und mehr über Bilder. Gerade in Zeiten hemmungslos manipulierter oder von KI erzeugter Bilder erscheint mir die Fähigkeit, visuelle Botschaften zu erkennen und zu entschlüsseln, wichtiger denn je. Die von Warnke im Warburg-Haus eingerichtete Forschungsstelle zur Politischen Ikonographie bietet mit ihrem umfangreichen Bildindex eine einzigartige Zugangsmöglichkeit zum „Verstehen lernen“ von öffentlich wirksamen Bildbotschaften.

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