Grenzgängerin

Werner-von-Melle-Preis 2019 geht an die Politikwissenschaftlerin Svenja Ahlhaus

Die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung hat zusammen mit der Edmund Siemers-Stiftung zum vierten Mal den mit 10.000 Euro dotierten Werner-von-Melle-Preis verliehen. Dr. Ekkehard Nümann, der Vorsitzende der Stiftung, überreichte in Anwesenheit von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit der Politikwissenschaftlerin Svenja Ahlhaus (30) die Auszeichnung im Rahmen einer Festveranstaltung in der Handels­kammer am 19. Februar.

Mit dem Preis, der zum Thema "Europa – Nation – Region: Spannungsverhältnisse" ausgeschrieben wurde, wollen die Stiftungen Hamburger Nachwuchswissenschaftler für herausragende Dissertationen auszeichnen, die eine besondere gesellschaftliche Relevanz besitzen. Zugleich möchten sie an Werner von Melle erinnern, der sich als Senator und Erster Bürgermeister um die Gründung der Hamburgischen Universität vor genau 100 Jahren ganz besonders verdient gemacht hat.

Was haben die aktuellen Diskussionen über die doppelte Staatsangehörigkeit, das Gefangenenwahlrecht, die Ausbürgerung von mutmaßlichen Terroristen und die Einführung von Einbürgerungstests gemeinsam? Sie betreffen die Grenzen politischer Gemeinschaften und führen zu Entscheidungen darüber, wer Anspruch auf politische Mitgliedschaft hat. Mit diesem Thema der "Mitgliedschaftspolitik" beschäftigt sich Svenja Ahlhaus. 

Entscheidungen über Mitgliedschaft sind nicht nur politisch kontrovers, sondern auch eine Herausforderung für die Demokratietheorie: Wer sollte mitbestimmen dürfen, wenn über Staatsbürgerschaft oder Wahlrecht entschieden wird? Auf den ersten Blick scheint die Antwort offensichtlich: Alle Deutschen sollten beispielsweise entscheiden, wer Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Aber sind demokratische Staaten wirklich wie Clubs, die ihre Beitrittskriterien selbst festlegen dürfen? 

Svenja Ahlhaus argumentiert, dass es undemokratisch ist, wenn nur Staatsbürger über die Grenzen der Nation entscheiden. Stattdessen sollten bei demokratischen Entscheidungen über Staatsbürgerschaft und Wahlrecht auch Außenstehende eine Stimme erhalten. Sie schlägt deshalb eine neue politische Institution vor, in der Mitglieder und Nicht-Mitglieder gemeinsam über die Grenzen der Gemeinschaft entscheiden können. 

In dieser "Boundary Assembly" (Grenzversammlung) sollten Mitgliedschaftsfragen behandelt werden: Sollten Gefangene das Wahlrecht haben? Sollten reiche Investoren leichter die Staatsangehörigkeit erhalten? Sollten Migranten schneller eingebürgert werden?

"Dr. Svenja Ahlhaus ist es in ihrer Arbeit gelungen, vertrautes Denken gegen den Strich zu bürsten, Positionen zu beziehen, die auf den ersten Blick weder praktikabel noch mehrheitsfähig scheinen, und den Widerspruch geradezu provozieren“, sagte Carola Veit, Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, in ihrem Grußwort. „Aber: Wir brauchen gerade von Seiten der Wissenschaft Denkanstöße, die uns in der Politik dazu animieren, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und über den Tellerrand zu blicken. Es sind kreative Köpfe wie die Preisträgerin, die im Jubiläumsjahr zum 100-jährigen Bestehen der Universität dazu beitragen, dass Wissenschaft und Forschung einen wichtigen Anteil an der Zukunftsfähigkeit unserer Heimatstadt leisten.“ Ekkehard Nümann, Vorsitzender der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, zur Arbeit der Preisträgerin: „Svenja Ahlhaus greift die gegenwärtigen Auseinandersetzungen innerhalb der EU über Staatsbürgerschaft und Wahlrecht auf. Uns hat der Kenntnisreichtum und der kreative wie argumentative Ansatz der Preisträgerin beeindruckt, die sich darüber Gedanken macht, wie die Grenzen der politischen Gemeinschaft demokratischer gezogen werden können.“

Svenja Ahlhaus kann bereits auf eine erfolgreiche akademische Karriere zurückblicken. Sie schloss ihre Master am University College London sowie an der Goethe-Universität Frankfurt mit Auszeichnung ab bevor sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Politikwissenschaft an der Universität Hamburg wurde. Zwischenzeitlich absolvierte sie Forschungsaufenthalte an renommierten ausländischen Universitäten (z. B. Yale). 2016 erhielt sie den Hamburger Lehrpreis für die beste Lehrveranstaltung der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Ihr Preisgeld möchte Svenja Ahlhaus für einen Forschungsaufenthalt in den USA verwenden.