Drei Fragen an Alexandra Gittermann
Alexandra Gittermann, Autorin unseres Bandes Rudolph und Friederike Brach. Vom Rio Grande an die Elbe, im Gespräch mit dem Präsidenten der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, Ekkehard Nümann.
Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Sie schildern Rudolph Brach als ungemein vielseitigen Kaufmann – als mittelloser Auswanderer aus der kleinen Stadt Alzey bei Mainz wirkte er am Rio Grande, in Paris und schließlich in Hamburg. In der Hansestadt steuerte er unter anderem viele Jahre lang die Kosmos-Reederei, um 1900 die weltgrößte Dampfschifffahrts-Linie. Wie müssen wir uns diese Unternehmerpersönlichkeit vorstellen?
Alexandra Gittermann: Rudolph Brach verfügte offenbar von Anfang an über eine gute kaufmännische Intuition. Sogar in den für ihn zunächst fremden wirtschaftlichen Verhältnissen in Mexiko, wohin er mit nicht einmal 20 Jahren eher zufällig gelangte, fand er sich schnell zurecht und entwickelte rasch ein gutes Gefühl für Preise und Absatzmöglichkeiten. Überdies verstand er es, die enormen Umbrüche seiner Zeit für sich zu nutzen und investierte in alles, was die moderne, immer schneller werdende Welt ausmachen sollte: Eisenbahn- und Stahlaktien, Dampfschifffahrts-Gesellschaften sowie Immobilien in den rasant wachsenden deutschen Großstädten. Er war auch im Eisenerz- und sogar im Petroleumgeschäft aktiv und damit immer am Puls seiner Zeit.
Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Sie zitieren Rudolph Brach, der 1848 auswanderte: "Der Zug, der Drang der Zeit ging nach Amerika." Inwiefern hängt Brachs wirtschaftlicher Erfolg auch mit den Umbrüchen zusammen, die er zu nutzen wusste, beispielsweise nach dem mexikanisch-amerikanischen Krieg oder nach der Reichseinigung 1871?
Alexandra Gittermann: Es war für mich sehr interessant zu verfolgen, wie sich jüdische Lebensentwürfe über den Zeitraum, den das Buch behandelt, veränderten. Die Zeugnisse, die Rudolph Brach und seine Frau Friederike Feist-Belmont hinterlassen haben, zeigen dies in verschiedensten Facetten. In Brachs Jugend ging tatsächlich der Drang ehrgeiziger junger jüdischer Männer oft nach Amerika. Zu groß waren trotz der langsamen Öffnung durch die Emanzipationsbewegung noch immer die Hindernisse, die ihnen daheim in den Weg gelegt wurden. Am Rio Grande fanden sich damals Kaufleute unterschiedlicher Nationalitäten und Glaubensrichtungen ein. Für jemanden wie Brach bot das Chancen, die er in Deutschland so nie bekommen hätte, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch was das soziale Ansehen betrifft.
Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Sie porträtieren Rudolph und Friederike Brach. Darüber hinaus gelingt Ihnen die Lebensschilderung der vielköpfigen Familie Brach, die ab 1872 in Hamburg lebte, und die nach dem Tod des Patriarchen durch die Nationalsozialisten verfolgt und ins Exil getrieben wurde. Waren die vermögenden Brachs in Hamburg je wirklich zugehörig – und welchen Einblick verdanken Sie den Überlebenden?
Alexandra Gittermann: Bis auf die vergleichsweise kurze Phase am Rio Grande bewegte Brach sich – ebenso wie die Familie seiner Frau – vorwiegend in jüdischen Kreisen; in Hamburg, wie auch in Frankfurt am Main, woher Friederike Feist-Belmont stammte. In beiden Städten war es offenbar so, dass man zwar in geschäftlichen Angelegenheiten wie selbstverständlich Hand in Hand arbeitete. Im Privaten war es jedoch für die jüdischen Familien ungleich schwerer, Kontakte außerhalb jüdischer Kreise zu knüpfen. Spätestens seit den 1880er Jahren wurde der zunehmende Antisemitismus spürbar, der später zur Vertreibung der seit Jahrzehnten äußerst national eingestellten, kaiser- und bismarcktreuen Familie führte. All die Zeugnisse, auf die sich meine Doppelbiographie stützt, sind deshalb überliefert, weil die Familie das Andenken an ihre Vorfahren hoch schätzte und zahlreiche Briefe, Tagebücher, Erinnerungen etc. außer Landes rettete, obwohl sie nur wenig und dies nur unter größten Schwierigkeiten mitnehmen durfte. Das hat mich gerade in Anbetracht der furchtbaren Umstände ihrer Flucht sehr beeindruckt.
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