Drei Fragen an Ludwig Gerhardt

Ludwig Gerhardt, Autor unseres Bandes Carl Meinhof. Das Leben des ersten Ordinarius für Afrikanistik, im Gespräch mit dem Präsidenten der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, Ekkehard Nümann.

Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Die Gründung des Fachs Afrikanistik und der Kolonialismus gehören zusammen. Was bedeutete das für Ihr Vorgehen beim Schreiben der Biographie von Carl Meinhof?

Ludwig Gerhardt: Eines ist klar: Ohne deutsche Kolonien hätte es kein Hamburger Kolonialinstitut und kein Seminar für Kolonialsprachen gegeben. Die Afrikanisten meiner Generation – Afrikanistinnen gab es kaum – haben stets von den drei Säulen der Afrikanistik gesprochen: der Mission, dem Kolonialismus und der Sprachwissenschaft. Meine Meinhof-Biographie will diesen drei Aspekten gerecht werden. Meinhof betrieb seine wissenschaftlichen Arbeiten weitgehend vom heimischen Schreibtisch aus, weil Afrika bis in die 1960er Jahre fast nur über wochenlange Schiffsreisen zu erreichen war. Ohne die sprachwissenschaftlichen Vorarbeiten und Arbeiten von Missionaren hätte er keine Daten gehabt. Das Fach Afrikanistik hat Meinhof mitbegründet. 

Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Meinhof konzentrierte sich auf die Erforschung zahlreicher afrikanischen Sprachen. Worin besteht seine Leistung, und geben seine Arbeiten auch Aufschluss über die jeweiligen afrikanischen Gesellschaften?

Ludwig Gerhardt: Meinhofs große Leistung besteht darin, die Forschung über afrikanische Sprachen auf ein methodisch sauberes Fundament gestellt zu haben. Die Frage, wieweit seine Arbeiten Aufschluss über die jeweiligen Gesellschaften geben, ist unterschiedlich zu beantworten: Meinhof hat sich mit vielen der von ihm untersuchten Sprachen nur sehr kursorisch beschäftigt. Es ging ihm darum, die Vielfalt der afrikanischen Sprachenwelt zu dokumentieren. Diese extrem knappen Sprachstudien konnten keinen Aufschluss über die jeweiligen afrikanischen Gesellschaften geben. Da, wo er intensiv geforscht hat, ist er durch seine Textsammlungen und Texteditionen durchaus über diese Sprachdokumentation hinausgegangen. Zudem hat er durch die Edition der "Zeitschrift für Kolonial-Sprachen" enorme Mengen von Material publiziert, das Einsichten in die jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen zulässt.

Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung: Hat Meinhof sich durch seine nationalistische und prokolonialistische Haltung als Wissenschaftler diskreditiert?

Ludwig Gerhardt: Nicht zu Lebzeiten. Bei seinem Tod 1944 hieß es, "Deutschlands größter Afrika-Forscher" sei gestorben. Meinhof hat sich weniger durch seine nationalistische und prokolonialistische Haltung als Wissenschaftler diskreditiert, als vielmehr durch die rassistischen Aspekte seiner späten Arbeiten wie z. B. "Die Sprachen der Hamiten". Die gesamte Persönlichkeit Meinhofs wurde erst mit Aufkommen der postkolonialen Ideen in den Blick genommen und in Frage gestellt. Meiner Ansicht nach werden gleichzeitig aber auch seine frühen bedeutenden Arbeiten zur vergleichenden Bantu-Sprachforschung diskreditiert, was sie nicht verdienen.

Die Publikation ist beim Wallstein Verlag erschienen. Sie können Sie in jeder Buchhandlung oder direkt hier erwerben.

Hören Sie hier den Deutschlandfunk-Bericht "Carl Meinhof, Begründer der Afrikanistik" vom 23. Juni 2022.